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120 Euro die Flasche - da hätt' ich ein Problem

Beitrag vom 120 Euro die Flasche - da hätt' ich ein Problem

Jürgen Schmücking ist Journalist und schreibt hauptsächlich über Wein, Schnaps und gutes Essen. Im Interview plaudert er über seine persönliche Beziehung zu Most und zeigt Trends und Potenziale für die weitere Entwicklung auf. Außerdem: Warum er persönlich ein veritables Problem hätte, wenn Mostviertler Birnenmost pro Flasche plötzlich 120 Euro kosten würde.
 

Wenn ich deinen Kühlschrank öffne, würde ich aktuell eine Flasche Most darin finden? Wenn ja welchen Most und woher kommt er?
Eiskalt erwischt. Im Augenblick steht da keiner. Oder – Moment, stimmt nicht. Ein Cidre aus der Normandie ist gerade eingekühlt. Das ist aber eher zufällig. Wir haben in Kürze ein Tasting zum Thema „Ciders of the World“. Da sind noch einige Produkte vorab zu kosten. Sonst würdest Du bei mir Most eher im Sommer im Kühlschrank finden. Nachdem ich herbe Durstlöscher mag, mit großer Wahrscheinlichkeit einen trockenen Bio-Most. Vermutlich eh aus dem Mostviertel. Vielleicht auch aus dem Mühlviertel.

Folgt man deinem Facebook oder Instagram-Account, sieht man, dass du dich jeden Tag durch die unterschiedlichsten Produkte in und rund um Österreich kostest. Was muss ein Produkt haben oder wie muss ein Produkt schmecken, damit es deine Aufmerksamkeit bekommt?
Naja, Bio hilft. Das hat weniger mit doktrinärer Überzeugung zu tun, sondern eher mit meiner Biographie. Ich kenne den Markt, meine Schwiegereltern sind Bio-Pioniere und ich empfinde große Sympathie für die Hersteller. Aber wie gesagt – dogmatisch bin ich nicht. Mir geht es vor allem um Authentizität. Also um handwerkliche Produktion, um den Erhalt von Vielfalt und kulinarischen Traditionen. Der Claim von Slow Food, Gut, Sauber und Fair, trifft es dabei am ehesten.

Du kennst das Mostviertel, die Mostbarone und auch viele ihrer Produkte. Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du an Mostviertler Most denkst? Womit assoziierst du Most und welche Bedeutung hat er für dich persönlich?
Die Hüte mit den weißen Federn. Nein, ernsthaft: Für mich ist die Gruppe der Mostbarone ein eingeschworener Haufen leidenschaftlicher Produzenten, die genau das leben, was mir wichtig ist: Eine tiefe Verbundenheit mit der Region und ein gesundes Maß an Qualitätsfanatismus. Und sie sind mit einer gehörigen Portion Spaß bei der Sache. Wenn ich an ihre Moste denke, kommen mir Leichtigkeit, Klarheit, Lebensfreude und Sommer in den Sinn. Genau da liegt auch seine Bedeutung für mich.

Most hatte lange Zeit ein schlechtes Image. Durch die sogenannte „Revolution im Keller“, also die hygienische Arbeitsweise und den Einsatz modernster Technik, hat sich die Qualität des Mostes in den letzten Jahrzehnten stark verbessert. Most wird mittlerweile auch in der gehobenen Gastronomie serviert. Wie siehst du die Entwicklung des Mostes aktuell und in Zukunft?
Da ist noch deutlich Luft nach oben. Gerade in der Gastro hat der Most noch ordentlich Potential. Es müsste gelingen, dass das auch außerhalb des Mostviertels erkannt wird. Die Barone erweisen ihrem Most als Botschafter dabei schon große Dienste. Mehr davon. 

Vielen – auch im Mostviertel - ist nicht bewusst, dass der Rohstoff „Mostbirne“ eigentlich sehr begrenzt ist. Vor allem in einem ernteschwachen Jahr, wie im letzten, wurde das wieder deutlich. Das Mostviertel ist weltweit eine der wenigen Regionen, wo es Mostbirnen gibt und wo diese im Vergleich zum Apfel klar im Vordergrund stehen. Wie siehst du diese Situation? Sind rare Produkte automatisch interessanter für Konsumenten?
Nicht automatisch, wenn aber die Geschichte dazu erzählt wird, sehr wohl. Letztlich geht es genau darum, das Mostviertel international als Birnen-Appellation erster Güte zu positionieren. Eigentlich sollte das gar kein Problem sein. Durch den intensiven Austausch und den Willen zur Weiterentwicklung hat sich ein eigener Mostviertler Stil entwickelt. Kristallklar, blitzsauber, hell, fruchtig und teilweise auf Basis alter Sorten. Das ist für eine Region schon ein sehr klares Profil. Innerhalb dessen lassen sich auch Spezialitäten und Raritäten entwickeln. Ich denke dabei an den Josef Farthofer’s MOSTELLO, aber auch an Toni Distelberger’s Eis.Birne. Außerdem sollte auch Platz für aktuelle Entwicklungen sein. Beim Wein geht es im Moment stark in Richtung weg von der Sauberkeit und Brillanz hin zu mehr – sagen wir einmal – Rustikalität und Bodenständigkeit. Manche Weine wirken da wie ein Anachronismus. Über diese (Rück-)Entwicklung könnten die Mostbarone auch nachdenken, ohne dabei gleich ihr erarbeitetes Profil aufzugeben.

Müsste – provokant formuliert - eine Flasche Birnenmost aus dem Mostviertel aufgrund des knappen Angebots und der geschmacklichen Besonderheit nicht eigentlich 120 Euro kosten? Denkst du, dass Konsumenten nur über den Preis den Wert von Produkten erkennen?
Schwieriges Thema. Ich bin überzeugt, dass sich bei manchen Weinen der Preis nicht über die Produktionskosten, sondern ausschließlich über Angebot und Nachfrage ergibt. Und über die konsumierte Menge. Bei mir – also in meinem Haushalt - gehen an einem heißen Tag einige Flaschen Most weg. Bei 120 Euro pro Flasche hätte ich bald ein veritables Problem. Aber Du hast recht, er wird großteils noch unter seinem Wert verkauft. Man könnte schon darüber nachdenken, einzelne Moste als so gut ausgestattete und knapp verfügbare Schätze zu vermarkten und 120 Euro dafür zu verlangen. Ich glaube, dass man dadurch eine Diskussion über den Wert des Mosts in Gang bringt. Einen Versuch wärs Wert.

Welcher Mostviertler Most ist dein persönliches Highlight und warum?
Der Blutbirnenmost vom Hechal, weil er so außergewöhnlich ist, dass es eine Freude ist und der Most von der Grünen Winawitzbirne von den Adelsbergers. Extrem harmonisch, knackige Säure, herrlicher Birnenduft.

 


Zur Person:
Jürgen Schmücking ist Journalist. Er schreibt hauptsächlich über Wein, Schnaps und gutes Essen. Bio. Seine Reportagen erscheinen in Magazinen wie schluck, ORIGINAL, Lebensart oder Biorama. Hin und wieder auch im falstaff. Ein paar Beispiele finden sich auf www.schmuecking.bio. Dann ist Jürgen noch Fotograf. Allerdings kein Full-Service Fotograf. Keine Passbilder, keine Hochzeiten. Nur Landwirtschaft und Kulinarik. Weil das untrennbar miteinander verbunden ist. Meint Jürgen. Dann schreibt er noch Bücher. Im Moment gerade gemeinsam mit den BIO HOTELS Kochlust PUR III – Sinn & Sinnlichkeit. Oder „A fette Sau“, das Standardwerk über die seltene Rasse der Mangalitza-Schweine. Die fette Sau gibt es übrigens hier: www.afettesau.at. Und sonst? Sonst sitzt er als Verkoster in regionalen, nationalen und internationalen Wein-Wettbewerben, reist zu Winzern, Mostbauern, Schnapsbrennern, Sennereien und anderen Landwirten.

 

Fotos: Jürgen Schmücking